Orange The World: End Violence Against Women

Gewalt gegen Frauen bleibt ein drängendes gesellschaftliches Problem – in Deutschland ebenso wie weltweit. Das kürzlich veröffentlichte Bundeslagebild “Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamts (BKA) zeigt für das Berichtsjahr 2024 erneut einen alarmierenden Anstieg: Die Zahl der weiblichen Opfer häuslicher Gewalt stieg um 3,5 % im Vergleich zum Vorjahr. Sexualisierte Gewalt, digitale Übergriffe und frauenfeindlich motivierte Straftaten nehmen weiterhin drastisch zu. 308 Frauen wurden 2024 Opfer tödlicher patriarchaler Gewalt.

Diese Entwicklungen verdeutlichen: Es braucht umfassende Schutz-, Präventions- und Interventionsmaßnahmen – konsequent, flächendeckend und nachhaltig. Diese Bedarfe müssen besonders im Rahmen der sog. Orange Days, einer Kampagne, die jedes Jahr vom Internationalen Tag zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November bis zum 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte von UN Women durchgeführt wird, herausgestellt werden.

Neue gesetzliche Maßnahmen: Elektronische Fußfessel & verpflichtende Täterarbeit

Um Betroffene besser zu schützen, hat die Bundesregierung eine Reform des Gewaltschutzgesetzes auf den Weg gebracht: Familiengerichte sollen künftig in Hochrisikofällen elektronische Fußfesseln anordnen können. Damit können Annäherungen an die gewaltbetroffene Person zuverlässig überwacht und automatische Warnmeldungen ausgelöst werden. Außerdem sollen gewaltausübende Personen künftig verbindlich zu sozialen Trainingskursen der Täterarbeit oder Gewaltpräventionsberatungen verpflichtet werden.

Die Servicestelle Wegweiser begrüßt diese Schritte als wichtigen Beitrag für ein verbessertes Hochrisikomanagement. Entscheidend bleibt jedoch, dass diese Maßnahmen konsequent angewendet und eng in bestehende Schutznetzwerke eingebunden werden.

BAG-Jahresstatistik 2024: Täterarbeit entscheidend – doch viel zu wenige Täter werden erreicht

Mit ihrer neu veröffentlichten, ersten bundesweiten Jahresstatistik liefert die Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt e. V. (BAG TäHG), in der die Servicestelle Wegweiser Mitglied ist, einen wichtigen Meilenstein für die Datengrundlage im Gewaltschutz.

2024 standen 5.143 gewaltausübende Personen im Kontakt mit Mitgliedseinrichtungen der BAG TäHG. Im Hellfeld registrierte das BKA allein über 187.128 Fälle von Gewalt in Paarbeziehungen. Diese Diskrepanz zeigt deutlich: Nur ein sehr kleiner Teil der gewaltausübenden Personen werden aktuell durch Täterarbeit erreicht.

Für die Servicestelle Wegweiser sind diese Erkenntnisse zentral: Wir setzen uns gemeinsam mit Behörden, Polizei und Politik dafür ein, dass Täterarbeit systematisch genutzt, flächendeckend ausgebaut und entsprechend den Vorgaben der Istanbul-Konvention sowie dem Standard der BAG TäHG weiterentwickelt wird. Täterarbeit ist – neben Schutz und Intervention für Betroffene – ein unverzichtbarer Baustein, um wiederholte und eskalierende Gewalt zu verhindern.

Femizide in Deutschland: Erkenntnisse und notwendige Reformen

Auch die neu erschienene Studie “Femizide in Deutschland“ der Uni Tübingen zeigt, dass ein erheblicher Teil der Tötungsdelikte an Frauen geschlechtsspezifisch motiviert ist. Neben offen sexistischer Motivation sind viele Taten in eine tief verankerte, strukturelle patriarchale Gewaltkultur eingebettet.

Aus den Forschungsergebnissen leiten die Wissenschaftler*innen wichtige Forderungen ab:

  • Stärkung der Prävention, insbesondere bei sexistischen Sozialisationsmustern, psychischen Belastungen und sozialen Risikolagen

  • Bessere Schulung von Polizei und Justiz, um Hochrisikodynamiken frühzeitig zu erkennen

  • Ausbau von Frauenhausplätzen und spezialisierter Intervention

  • Reformen im Familienrecht, u. a. beim Umgangsrecht im Kontext häuslicher Gewalt

  • Einrichtung spezialisierter Dezernate für geschlechtsbezogene Gewalt bei Staatsanwaltschaften und Gerichten

Diese Empfehlungen verdeutlichen die Notwendigkeit eines koordinierten Vorgehens – präventiv, rechtlich und gesellschaftlich-strukturell.

Die Rolle der Servicestelle Wegweiser: Stärkung des Gewaltschutzes in Berlin

Die Servicestelle Wegweiser trägt in Berlin maßgeblich dazu bei, den Gewaltschutz zu stärken, und zwar durch:

  • gezielte Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung

  • Schulung von Polizei und Fachkräften

  • Einbringung von Erkenntnissen aus Forschung und Praxis in politische Entscheidungsprozesse

  • Vernetzung mit Behörden, Beratungsstellen, Schutzunterkünften und Täterarbeitseinrichtungen

  • niedrigschwellige Beratung gewaltausübender Personen und Weitervermittlung in Täterarbeit und angrenzende Angebote

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf dem proaktiven Ansatz, der niedrigschwellig dazu beiträgt, mehr gewaltausübende Personen frühzeitig in Täterprogramme zu bringen – und damit wiederholte oder eskalierende Gewalt zu verhindern.

Wir setzen uns für eine bessere Finanzierung, den Ausbau und die Qualitätsentwicklung der Täterarbeit ein und bringen diese Perspektive aktiv in die Umsetzung des Gewalthilfegesetzes ein.

Klar ist: Mehr Schutzplätze und Beratungseinrichtungen für betroffene Frauen sind dringend notwendig. Doch dies ist nur eine Seite der Medaille, die die Last, sich zu schützen, ausschließlich bei den Betroffenen belässt. Ohne wirksame und flächendeckend verankerte Täterarbeit wird sich geschlechtsspezifische Gewalt langfristig nicht stoppen lassen – denn diese hört erst auf, wenn die Täter sie nicht mehr ausüben.

Lesen Sie in diesem Zusammenhang hier bald, warum diesbezüglich auch die Novelle des Gewaltschutzgesetzes noch nicht weit genug geht.

Next
Next

Das “Spanische Modell” ist mehr als nur die Fußfessel