Das “Spanische Modell” ist mehr als nur die Fußfessel

In der aktuellen politischen und öffentlichen Debatte um häusliche Gewalt wird häufig auf das sogenannte “Spanische Modell“ verwiesen – meist im Zusammenhang mit der Forderung nach der elektronischen Fußfessel für Täter häuslicher Gewalt. Was dabei verloren geht: Die Fußfessel ist nur ein kleiner Teil eines umfassenden Gewaltschutzsystems, das Spanien seit Jahren erfolgreich etabliert hat. Wer nur auf Technik setzt, verkennt das eigentliche Erfolgsrezept – und riskiert, wirksame Prävention zu untergraben.

Was das “Spanische Modell“ wirklich ausmacht

Spanien hat nach der Einführung eines ambitionierten Gesetzes gegen geschlechtsspezifische Gewalt im Jahr 2004 ein ganzes Maßnahmenpaket entwickelt. Zentrale Elemente sind unter anderem:

  • Spezialisierte Gerichte für geschlechtsspezifische Gewalt, die schnell und gezielt handeln können

  • Rund um die Uhr erreichbare Anlaufstellen für Betroffene mit psychosozialer und juristischer Unterstützung

  • Flächendeckende Täterarbeit, verpflichtend und mit klaren Qualitätsstandards

  • Präventionsarbeit in Schulen, Medien und Gesellschaft

  • Professionelle Aus- und Weiterbildung aller Akteur*innen im Justiz-, Polizei- und Gesundheitswesen

  • Klares staatliches Bekenntnis gegen Gewalt an Frauen – mit ressortübergreifender Verantwortung und Finanzierung

Die elektronische Fußfessel ist in Spanien lediglich ein begleitendes Mittel im Rahmen von VioGén, einem Programm für Risikoeinschätzung und dem Monitoring von Hochrisikofällen, um gerichtliche Schutzanordnungen effektiv zu überwachen. Sie ersetzt niemals psychosoziale Beratung und alle weiteren präventiven und edukativen Maßnahmen, wie beispielsweise Täterarbeit – sondern ergänzt sie. Wichtig ist dabei ein funktionierendes Unterstützungsnetzwerk aus Frauenberatungsstellen, Täterarbeitseinrichtungen, Polizei, Jugendamt etc. Hier steht eine effiziente Risikoeinschätzung mithilfe eines Netzwerks der verschiedenen beteiligten Institutionen im Vordergrund. VioGén ist sehr erfolgreich– im Rahmen des Programms kam es bisher zu keinem Femizid. Jedoch ist die Zahl der Femizide nicht auf Null gesunken, da nicht jedes Risiko erkannt wurde. Unter den Frauen, die in den letzten Jahren ermordet worden sind, waren lediglich 25% polizeibekannt. Das zeigt, dass sowohl niedrigschwellige Beratungsangebote umfassender zur Verfügung stehen müssen, die ohne Datenschutzhürden mit dem Hilfesystem zusammenarbeiten können und auch die Schwelle für betroffene Frauen, sich an die Polizei zu wenden, herabgesetzt werden muss, um ganzheitliche Präventionserfolge zu erreichen.

Wie fatal es ist, lediglich auf die technische Komponente zu setzen, ohne diese Strukturen mitzudenken, zeigt ein aktueller Fall aus Frankfurt: Ein Mann, der zuvor von seiner Ex-Frau wegen häuslicher Gewalt und Vergewaltigung angezeigt worden war und sich an ein diesbezügliches Kontakt- und Näherungsverbot nicht gehalten hat, trug eine elektronische Fußfessel. Kurz nach deren Abnahme tötete er den neuen Partner seiner Ex-Frau mit über 70 Messerstichen, die Frau selbst konnte nur knapp entkommen. Kritik wurde jedoch nur laut an der zu kurzen Zeitspanne für das Tragen der Fußfessel, nicht jedoch am Fehlen von Täterarbeit.

Diese Entwicklung ist gefährlich: Wer auf technische Überwachung setzt, aber Prävention und Täterarbeit vernachlässigt, handelt kurzsichtig, ineffektiv und riskant. Die Fußfessel mag Abstand messen, aber sie ändert kein Verhalten und sie muss zwangsläufig nach einer begrenzten Zeit wieder abgekommen werden. Was danach passieren kann, wenn all diese begleitenden Maßnahmen wegfallen und lediglich der Fokus auf eine elektronische Fußfessel gesetzt wird, sehen wir am erschreckenden Fall aus Frankfurt.

In Deutschland wird aktuell über die flächendeckende Einführung der elektronischen Fußfessel im Gewaltschutz debattiert – doch ohne eine auskömmliche parallele Investition in Täterarbeit, Prävention oder Bildungsarbeit. Gleichzeitig stehen Projekte wie die Servicestelle Wegweiser, die genau diese Lücke schließen sollen, vor massiven Kürzungen oder gar dem Aus.

Ein ernst gemeinter Gewaltschutz braucht mehr als eine elektronische Fußfessel. Er braucht ein ganzheitliches System, wie es das spanische Modell vormacht: mit verbindlicher Täterarbeit, stabiler Finanzierung, Prävention – und dem politischen Willen, Gewaltwirksam zu verhindern – mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.

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